Einleitung
Noch im Jahr 1995 sagte Bill Gates dem Internet die Bedeutungslosigkeit voraus. Im Jahre 2009 prophezeite der bekannte Zukunftsforscher Matthias Horx den sozialen Medien, dass sich in ihnen innerhalb weniger Jahre nur noch soziale Verlierer aufhalten werden.
Im Jahr 2010 schrieben wir an dieser Stelle über Facebook einen vielbeachteten und vielzitierten FEUILLETONISTISCHEN ARTIKEL über Schwachsinn und Nebenwirkungen von Facebook. Soviel zum Thema Prognosen.
JETZT SIND WIR AUCH BEI FACEBOOK. Was ist passiert? Wo ist die ursprüngliche Haltung geblieben?
Selbstmildernd sei angemerkt, dass wir mit unseren damaligen Analysen über das Phänomen "Facebook" so ganz verkehrt eigentlich nicht gelegen haben. Die Welt hat sich weitergedreht, allerdings auch nicht immer zum Besseren. War ursprünglich Facebook als hochvirale Masturbationsplattform für exhibitionistisch veranlagte Heranwachsende das ideale Vernetzungs- und Hose-Herunterlassen-Werkzeug, ist die Volksdurchdringung mittlerweile so groß, dass ein Ausstieg respektive ein Nicht-Einstieg schon gar nicht mehr lohnt und aktuell mehr Nach- als Vorteile mit sich bringt. Den „Designern“ dieser Systeme sei hier an dieser Stelle großer Respekt gezollt, haben sie doch wieder einmal trefflich bewiesen, dass der Mensch ein von Grund auf geschwätziges und leicht verführbares Wesen ist, das die technische Befriedigungsmöglichkeit von eigenen Komplexen, wie z.B. Geltungssucht, Aufmerksamkeitsbedürfnis und Eitelkeit als großen Nutzen empfindet und dafür auch vielfach bereit ist, seinen letzten Verstand zu opfern. Deshalb ist und bleibt Facebook für uns auf absehbare Zeit von der Kernsubstanz her eine große „Mülltonne“. Trotz allem schreitet der Masterplan der großen „Verblödung“ in den Tiefen unserer Gesellschaft weiterhin zügig voran.
Überrascht hat Facebook allerdings vor einigen Jahren mit der Funktion der sogenannten „öffentlichen Seiten“ für Firmen und Vereine. Jeder kann nun „Postings“ dieser öffentlichen Seiten einsehen, ohne sich explizit bei Facebook anmelden zu müssen. Dies hat sich gerade für Unternehmen als außerordentlich nützlich herausgestellt, da hier eine neue interaktive Schnittstelle entstanden ist, deren hochdynamisches Potential die Lücke zwischen dem offenen und jederzeit erreichbaren Individuum und der mitteilungsbedürftigen Institution geschickt schließt.
Im Übrigen ist heute fast alles interaktiv, ohne geht schon gar nicht mehr. Erinnert sei an unsere tief verankerte natürliche Schwäche, große Angst vor dem Alleinsein zu haben. Interaktivität gibt uns verloren geglaubte Rudelnähe zurück, wir „hocken und hacken“ isoliert vor unseren Bildschirmen und spüren trotzdem die Wärme der Herde, sei es durch artikulierte Schwarmsynchronisation oder durch Ausgrenzung bis hin zum „Shitstorm“. Immerhin, trotz dieser autistisch anmutenden Distanz spüren wir unmittelbar, dass wir noch leben!
Rekursivität durch Interaktivität hat allerdings zwei Seiten. Hält jemand seine Nase zu weit aus dem Fenster, kann sich der berühmte Flügelschlag eines Schmetterlings auch schnell zu einem verheerenden Tornado entwickeln. Trend und Flop haben in der Anfangsphase meist das gleiche Gen. Das gigantische Hebelpotential der Rekursivität wirkt bei der Evolutionsentscheidung als Turbo. Man steht entweder schneller oben, als man denken kann, oder man wird aus dem Evolutionspool mit Affengeschwindigkeit aussortiert. Ein Ritt auf der Rasierklinge, aber egal, was herauskommt, es wird heftig und es geht schnell. Vorbei die Zeiten gemächlicher Aussendung statischer Botschaften nach dem Vorbild testamentarischer Langlebigkeit.
An dieser Stelle sei wieder Bill Gates zitiert, der, nachdem er einige Jahre später zur Einsicht gelangte, dass das Internet doch nicht mehr von alleine verschwinden würde, nunmehr das Internet als eine große Welle betrachtete, auf der man lernen müsse zu surfen oder zu akzeptieren habe, unterzugehen. Diese Befürchtung haben wir nun durch unseren Beitritt bei Facebook nicht, wir trauen uns im Wissen eigener Substanz und kreativer Tragfähigkeit zu, einen zeitgemäßen Medienkanal unbeschadet so einzusetzen, dass der Nutzen für alle Beteiligten (sprich Freunde) eindeutig im Vordergrund steht. Aber auch die potentiellen „Disliker“ werden vielleicht eine kleine Wertschöpfung erfahren, wenn sie sich nun über uns mit Niveau aufregen können.