Einleitung
In jedem Sumpf herrschen eigene Gesetze. Das sind in der Regel durch die Praxis der politischen Machterhaltung modifizierte Regeln, die öffentlich weniger bekannt sind und deren Existenz von den meisten am Rand stehenden harmlosen Naturbeobachtern so nicht vermutet wird. Die Wohnungswirtschaft in Hannover ist so ein spezieller Sumpf, und die Politik auch. Wir gehen auf Exkursion in ein seltsames Biotop.
Ein solch prominenter Unfug wird von uns natürlich nach allen Regeln der Kunst beantwortet, doch die Frage ist nur, wem antworten? Die SPD scheidet in Ermangelung inhaltlicher Resonanzfähigkeit erst einmal aus, aber der diensthabende Redakteur, der den Disput aus journalistischer Sicht zunächst korrekt und neutral wiedergegeben hatte, wäre theoretisch der richtige Ansprechpartner. Die nachfolgende Ausführung blieb allerdings unbeantwortet, was man dem Redakteur keineswegs anlasten sollte. Das Ganze entwickelt sich zwangsläufig zu einem Monolog in der Blechdose, aber man kann unsere Antwort nach "Art des Hauses" auch als kleines Bonmot mit Seltenheitswert zum Nachlesen betrachten.
Sehr geehrter Herr Bohnenkamp,
vielen Dank für den Artikel über die „DDR 2.0“ vom heutigen Tage, dessen Inhalt am Rande der Einweihung unserer Moosmaschine am letzten Donnerstag im persönlichen Gespräch entstand.
Die Stellungnahme des baupolitischen Sprechers der SPD Herrn Kelich finde ich insofern bemerkenswert, weil man das eigentliche Problem auf diese Weise gar nicht besser darstellen kann, als es dreist und konsequent zu leugnen. Herr Kelich führt aus, dass angeblich in Sachen Wohnungsbau in Hannover „für jeden die gleichen Regeln“ gelten. Ich darf anmerken, dass ich seit 1992 die Genossenschaft Gartenheim leite, daher „umständehalber“ über entsprechende persönliche, konkrete Erfahrungen aus der operativen Sichtebene im Umgang mit der hannoverschen Bauwirtschaft und der Politik verfüge und auch einigermaßen „branchenüblich“ vernetzt bin. Gerade wegen der mir immer wieder nachgesagten öffentlichen Streitlust bin ich damit offensichtlich über jeden Verdacht erhaben, Teil eines schweigsamen und verfilzten Netzwerkes von Profiteuren zu sein.
Hierzu konkret folgende Ausführungen:
1.
Die Chancen eines Bauherrn, in Hannover und Umgebung problemlos eine Baugenehmigung zu erhalten, steigen überproportional mit der Wahl der „richtigen“ Architekten. Bei kleinen Bauvorhaben mag dies im Einzelfall noch egal sein, bei größeren Baustellen, wo auch selbstredend mehr Volumen und auch mehr architektonische Gestaltungspräsenz hinter steckt, ist in der letzten Zeit eine größere Auffälligkeit zu zwei Architekturbüros zu beobachten, die vom Bauamt „regelrecht“ empfohlen werden. Ich habe von etlichen mir absolut seriös erscheinenden Personen aus der Branche die Namen „Mos...“ und „Gra...“ immer wieder gehört. Teilweise wurden Bauherren vom Baudezernenten persönlich geradezu genötigt, diese Büros zu beauftragen. Viele Bauherren gehen mittlerweile als Ausweichstrategie dazu über, bis zur Leistungsphase drei oder vier diese besagten Büros erst einmal zu beauftragen, damit dadurch eine Baugenehmigung erwirkt wird, um anschließend die nachfolgenden Leistungsphasen mit Architekten eigener Wahl und eigenen Vertrauens abzuarbeiten. Vielfach habe ich Schilderungen zur Kenntnis genommen, dass z.Zt. diese beiden Büros derart überlastet sind, dass sich hierdurch die jeweiligen Genehmigungsverfahren immer unerträglicher in die Länge ziehen. Offensichtlich hat man es geschafft, in der Branche einen Zustand der Angst vor Amtsbehinderung und Amtsblockade zu schaffen, dass sich bislang noch niemand getraut hat, lautstark zu intervenieren, weil viele die potentiellen wirtschaftlichen und operativen Nachteile vermeiden wollen. Ich wurde persönlich schon mal vor einigen Monaten von einem NDR-Redakteur kontaktiert, der in der gleichen Angelegenheit recherchiert hatte, bislang wohl ohne Ergebnis.
2.
In Hannover haben viele Neubauten eine sehr ähnliche Erscheinungsform. Man mag dies als Zeitgeist erklären, auf der anderen Seite begegnet mir in letzter Zeit immer häufiger der Begriff „Klinker-Uwe“. Hiermit ist gemeint, dass sich eine Stadtverwaltungsleitung offensichtlich ermächtigt fühlt, gegen die Interessen von Bauherren gewisse Vorlieben zu gewissen Industrien exzessiv auszukosten, sei es aus gestalterischen oder auch aus anderen Gründen. Diese Zwangsnormierung kann man sowohl als Angriff auf die Vielfalt und Freiheit einer Stadtentwicklung sehen, als nebenbei auch als „Unterordnungsgeste“ mit „Signalwirkung nach innen“. Die kaum zu übersehende Monotonie der hannoverschen Stadtentwicklung ist bereits Gegenstand etlicher Zeitungsberichte gewesen. Dass in diesem Zusammenhang unser Gebäudeentwurf in der Pelikanstraße als Provokation und Störung empfunden wird, liegt geradezu auf der Hand.
3.
Herr Kelich führt aus, dass „sich die anderen auch an Absprachen und Regeln halten“. Wie kann man sich auf einer schiefen Ebene aus Filz und Seife an Regeln und Absprachen halten? Diese Aussage entblößt in nahezu idealtypischer Form die Arroganz und Unverfrorenheit dieses politisch gesteuerten Systems. Hier wird implizit zum Ausdruck gebracht, dass es hier kein Prinzip der Kommunikation auf Augenhöhe gibt, sondern dass man es vielmehr mit einem Regentschaftssystem aus Unterordnung, Beugung und Gehorsam zu tun hat. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass sich diese „Stilistik“ eher auf „oberen Etagen“ abspielt, auf dem überwiegenden Teil der Ebene der Sachbearbeitung beobachten wir ein völlig korrektes und angenehmes kooperatives Handeln.
4.
Wir möchten dem Eindruck widersprechen, dass der Baudezernent Herr Bodemann hier zu einem Schlüsselproblem aufgebauscht werden soll. Die sogenannten „Verdienste“ von Herrn Bodemann sollten nicht zu gering bewertet werden, allerdings ist er auch nur Teil eines korrumpierten Gesamtsystems. Offensichtlich hat sich hier über Jahre eine effiziente Machtsymbiose aus operativen „Showkünstlern“ und einer politischen Kaste entwickelt, deren „interne Mechanik“ dem zeitungslesenden Gutmenschen weitgehend verborgen geblieben ist. Man war bislang gewohnt, Angriffe auf dieses System mit den üblichen Hohlphrasen und den anderen von Herrn Kelich ausgeführten Parolen abwehren zu können, mittlerweile gehe ich davon aus, dass die Wirkung dieser Sedativa stark nachlässt und immer mehr Bürger das durchblicken.
5.
Herr Kelich führt ferner aus, dass die Politik nicht daran denken würde, auf ihre Forderung nach Sozialwohnungen zu verzichten. Diesem Satz kann man gerade im heutigen Kontext kaum widersprechen, allerdings beleuchtet er das Problem sehr einseitig. Wir beabsichtigen, auf einem Grundstück, welches der Genossenschaft gehört, ein Gebäude zu errichten, um ein günstiges Angebot für eine große Wohnungsnachfrage zu machen. Wir finanzieren dieses Gebäude aus eigenen Mitteln, benötigen insofern auch keine „Förderung“. Dennoch sollen wir genötigt werden, einen großen Teil dieser Wohnungen (30 – 50 %) als Sozialwohnungen auszuweisen. Die Genossenschaft Gartenheim vermietet ihren Wohnungsbestand z.Zt. zu einem Durchschnittspreis von 6,38 €/qm, ein Neubau würde vielleicht um die 10 €/qm kosten und wäre das Gegenteil von kostendeckend. Wir haben dieses Gebäude aus sozialer Verantwortung heraus geplant und nicht als „Renditebringer“ Die additive Forderung nach Sozialwohnungen empfinden wir „neudeutsch“ als unverschämten Enteignungsversuch, der so dumm wie „Kevin“ ist. In diesem Zusammenhang kann nicht oft genug betont werden, dass die momentan hohen Mieten in Großstädten bei Gesellschaften wie z.B. Vonovia und anderen durch einen Spekulationsmechanismus begünstigt wurden, der von dem ungeschickten Verkauf von kommunalen Wohnungen im großen Stil an „Heuschrecken & Co“ vor gut 16 Jahren insbesondere durch SPD-geführte Regionalregierungen ursächlich bewirkt wurde.
6.
In letzter Zeit kann man gerade in Hannover beobachten, dass immer mehr unnütze und teure Eigentumswohnungen gebaut wurden und werden. Das ist das Gegenteil von Sozialpolitik. Hier gibt es unter Mitwirkung der politischen Kräfte eine Konzentration hin zu wenigen „geeigneten“ Bauunternehmern und Baufirmen. In einem evolutionären Anpassungsprozess sind hier auf unnatürlichem Wege, auch z.B. durch „gemanagte“ Ausschreibungen, Konzentrationen entstanden, die nicht zu übersehen sind. Eine ästhetische Monokultur ist dabei nur das äußere sichtbare Ergebnis.
7.
Das Problem „Filz in Hannover“ ist nicht auf eine Person zu reduzieren, sondern ein gewachsener, komplexer Systemverbund. Ein sehr anschauliches Beispiel ist das im Januar 2019 vom BGH gefällte Urteil zum Thema „ewiges Belegrecht“ bei Sozialwohnungen, welches wir positiv erstritten hatten. (Es wurde umfangreich berichtet) Hier wurde besonders deutlich, dass alle relevanten Ämter und Behörden in dieser Sache derart Hannover-typisch verwoben waren, dass man eine offensichtliche Rechtsbeugung als normal und zulässig erachtet hat. Im Urteil des BGH konnte man lesen, dass es sich im Falle Gartenheims um eine „unerlaubte gesetzliche Handlung“ nach §134 BGB gehandelt habe. Das ist eine Ohrfeige erster Güte für eine Stadtverwaltung wie Langenhagen, aber auch für die Region Hannover. Natürlich bleibt hier so etwas im Syndikat ohne Konsequenzen.
Wir schließen unsere Betrachtung mit der Feststellung ab, dass die Aussagen von Herrn Kelich der Versuch sind, durch Phrasen und sprachliche Stimmungsaufheller von den eigentlichen Problemen abzulenken. Insbesondere finden wir es betrüblich, dass gerade den Genossenschaften in Hannover, die nicht parteilich unterwandert sind, so gleichgültig und leichtfertig Knüppel zwischen die Beine geworfen werden und auch diesbezüglich keinerlei Einsicht zu erwarten ist.
Mit freundlichen Grüßen
Günter Haese